Bericht über unseren Freund Anatoli beim Bataillon AIDAR und Hilfe auf Ukrainisch Teil 1

Aus aktuellem Anlass ein Beitrag zum aktuellen Konflikt mit Russland. Unser Freund Anatoli, den wir im September kennen lernten, hat heute das Krankenhaus verlassen und es gab eine Überraschung für ihn. Zum Verständnis. In diesem Teil erst einmal ein korrigierter und angepasster Bericht, den ich am Montag schon auf Facebook und im Ukraine-Aktiv-Forum veröffentlichte:

Es werden im Konflikt mit Russland, den Separatisten und Terroristen im Dombass immer Beweise verlangt, Augenzeugen. Ich hatte am Montag das Glück mit einem Kämpfer des Bataillons AIDAR den Abend bei uns zu verbringen. Er kuriert seine Kopfverletzung gerade im hiesigen Krankenhaus aus. Ich habe so viele Dinge erfahren - die meisten davon sind sehr traurig und erschütternd. Das Positivste ist eigentlich, dass Anatoli noch lebt und dass es ihm soweit ganz gut geht! Es gab oft keinen Zusammenhang in unserem Gespräch, zu unterschiedlich waren auch unsere Fragen und es war ja kein Interview in diesem Sinne. Also, am besten der Reihe nach:

Was man in den Medien von der Anzahl der Gefallenen hört, bezieht sich oft nur auf die Armee, die Verluste der Bataillone sind da nicht mit aufgeführt. So sind erst vor rund zwei Wochen über 50 Kämpfer der AIDAR ausgerückt, nur drei(!) kehrten zurück!

Von seinen Mitstreitern aus der Anfangszeit sind höchstens noch 10% am Leben und aktiv dabei. Das sieht man Anatoli auch an. Er hat sich seit dem letzten Treff im September sehr verändert. Ich kann es nicht beschreiben. Sein Gesicht wirkt trauriger, aber auch entschlossener. Er gibt auch offen zu, dass er geschrien und geweint hat, wenn seine Brüder nicht heimkehrten oder eben nur als Leiche. So wie an dem Tag, als eine Einheit unter mörderischen Beschuss geriet. Die Menschen sind dermaßen verbrannt, es blieb nichts zur Identifikation übrig. Anhand der Wirbelsäulen, die man einsammelte, konnte man wenigstens die Anzahl der Gefallenen bestimmen. Es waren 26, die ihr Ende in einem gemeinsamen Grab fanden. Es wurden zwar noch DNA-Proben genommen, aber was hilft das jetzt.

Könnt Ihr Euch erinnern, dass die freiwilligen Kämpfer gedroht hatten, nach dem Kampf nach Kiew zu kommen und dort aufzuräumen? Nun, das hatte wohl Konsequenzen. In brenzligen Situationen werden diese Kampfeinheiten zuerst in die vorderste Linie geschickt. Die persönliche Meinung von Anatoli ist, dass man wohl in Kiew nicht will, dass zu viele von ihnen heimkehren...
Dazu passt auch die andere Geschichte von ihm. Erst kürzlich ging es um die Wiedereroberung eines Dorfes, welches von Separatisten trotz Waffenruhe eingenommen wurde. AIDAR wurde vor geschickt, die ATO versprach Rückendeckung mit Panzern, etc. Als die ersten GRAD einschlugen, war von der ATO weit und breit nichts mehr zu sehen, die freiwilligen Kämpfer auf sich allein gestellt. Aber selbst dafür zeigte Anatoli Verständnis. Sind doch in der ATO Wehrpflichtige, zumeist Buben um die 19 Jahre. Denen fehlt die Erfahrung, manch einer ist wohl auch nur dabei, um seine Zeit abzureißen - kein Wunder, wenn die bei den ersten Einschlägen umdrehen. Desto mehr ist es wichtig, dass erfahrene Kämpfer an die Front gehen. Diese wiegen Hundert unerfahrene Wehrpflichtige auf.

Wenige der Freiwilligen lassen sich lebend gefangen nehmen (Anmerkung: Die Kämpfer haben eine Tätowierung am Oberarm). Es kommt darauf an, mit wem sie es zu tun haben. Erwischen einen die Kadyrowzi, also die tschetschenischen Terrorbanden, ist man so gut wie tot. Anatoli möchte diese Banditen aber nicht mit den "normalen" Tschetschenischen Einheiten über einen Kamm scheren, welche es ja auch in den ukrainischen Reihen gibt! Hut ab dafür. Ebenso kämpft er nicht gegen Russen, sondern »Moskali«. „Das russische Volk kann doch nichts dafür, das sind immer noch Freunde.“ sagte er. Merkt Ihr was? So etwas sagt einer von den angeblichen »Faschisten«! ....

Zurück zum Thema. Was passiert mit den Kämpfern, wenn sie in die Hände der Donezker oder Luhansker Banditen fallen? Die wollen auch keine Gefangenen, aber sie töten sie nicht. Man bindet ihnen einen Arm oder ein Bein ab - und wenn es sich taub anfühlt, wird das Körperteil amputiert - oder besser gesagt, einfach abgehackt! Dann schickt man den so verstümmelten wieder nach Hause. Jetzt kann er ja nicht mehr kämpfen. Es ist unglaublich, man kann es nicht begreifen. Erst kürzlich kehrte ein so Gezeichneter, dessen Wunden verheilt waren, zu seiner Einheit zurück. Ihm fehlt nun der rechte Arm. Aber er will jetzt erst recht eine Waffe haben und gegen diese unmenschlichen Banditen kämpfen!

Ich fragte nach der Loyalität der Dombassbewohner zur Ukraine. Dazu erzählte er mir eine Geschichte. Einen jungen Kämpfer hatten sie, 26 Jahre alt. Aus einem nahe liegenden Dorf. Der Vater Richter, die Mutter Prokuror (Staatsanwältin). Familie hat alles, er hätte nicht kämpfen müssen. Er tat es doch. Er sagte, das Verhältnis in seinem Dorf liegt bei 50:50 proUkraine / proRussland - und er schämte sich für die vielen prorussischen Nachbarn. Der Vater kam jeden Tag, brachte etwas, schaute nach seinem Sohn. Seine Truppe geriet in einen Hinterhalt, keiner überlebte. Auch sie wurden buchstäblich gegrillt. Der Vater konnte ihn nur an einem Muttermal erkennen. Bei der Beerdigung wollte der Vater, dass man nur einen Schuss als Salut abgibt, die Kameraden sollen doch ihre Munition sparen. Sie schossen das ganze Magazin leer.

Dann fragte ich ihn nach den Volontären. Da kamen ja negative Meldungen, dass es Menschen gibt, die den Krieg ausnutzen. Er sagte, sie geben höchstens etwas für Benzin, muss ja auch irgendwie bezahlt werden. Meist haben sie ein paar Kanister für die Fahrer ja auch da. Ansonsten müssen sie nichts bezahlen. Sie haben eine Kasse, sie können so einem Mitkämpfer, wenn er auf Urlaub fährt, wenigstens die Fahrtkosten erstatten. Verdienen tun sie jedoch nichts! Ihren letzten Koch hatten sie raus geschmissen. Der hatte sein Auto mit Fleischkonserven voll geladen und war unterwegs in die nächste Stadt, um diese zu Geld zu machen. Nun, so etwas passiert eben.

In den Spendenpäckchen sind sehr oft Telefonnummern versteckt, mit der Bitte, kurz Bescheid zu geben, wer diese denn erhalten hat. Die Menschen freuen sich sehr, wenn man sich meldet und bedankt. Dann sind sie auch weiterhin bereit, zu geben. Ja, man traut den ganzen Volontären wegen einiger schwarzer Schafe nicht.

Wie geht es weiter? Wird Putler den Weg zur Krim (oder noch mehr) in diesem Winter holen? Das war meine letzte Frage. Er weiß es auch nicht. Aber er sagt, das Bataillon AIDAR hat seine Taktik geändert. Sie sind von der ATO zu oft enttäuscht worden. Sie kämpfen jetzt wie Partisanen. Wie, das verrate ich nicht. Aber wie er erzählte, ist diese Art des Kampfes äußerst effektiv und schont die eigenen Reihen!

Etwas schönes noch zum Schluss. Mit den Spenden kommen viele Briefe von Kindern, ganze Schulklassen schreiben ihnen. Die werden alle sehr gerne und aufmerksam gelesen. Und Anatoli war immer wieder gerührt, wie viel Herzblut die Kinder in diese Briefe stecken und wie reif manche klingen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Ansporn für die Kämpfer. Bekommen die Russen auch so etwas? …

Natürlich haben wir an dem Abend etwas getrunken. Und wie in der Ukraine üblich, widmet man jede Runde. Das erste Glas gilt immer dem Beisammensein, es folgen Toasts auf die Gastgeber, die Frauen, die Liebe, usw. Dieses mal war es anders. Die erste Runde ging auf das Beisammensein, die Zweite jedoch - ohne anzustoßen - gleich auf die Freunde, die nicht mehr bei uns sind...

Soviel erst einmal dazu. Im zweiten Teil habe ich dann erfreulicheres zu berichten.

PS: Hier der Link zu dem Beitrag auf Facebook. Könnt Ihr gerne von da aus teilen. https://www.facebook.com/jens.piske.5/posts/1501950656745151 Danke!

Link zu Teil 2


 

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