Ein paar Gedanken zum Nationalismus und dem Verhältnis zwischen Russen und Ukrainern

Das Thema sieht auf den ersten Blick sehr komplex aus, ist es aber nicht. Es reichen 6 Wörter: Die Ukraine ist ein souveräner Staat! Punkt. Aber die Welt ist kompliziert, die russische sowieso, darum etwas ausführlicher:

In ihrer Geschichte wurde die Ukraine immer wieder von verschiedenen Ländern besetzt, unter anderem auch von Russland. Die Sowjetzeit, besonders unter Lenin und Stalin, hat ein unfassbares Leid über die Bevölkerung gebracht. Während des Holodomor starben allein im Gebiet der Ukraine Millionen Menschen. Hunderttausende wurden ihrer Heimat entrissen und deportiert, das Land musste sich dem Aggressor viele Jahrzehnte beugen und verlor viel von der eigenen Identität. Die Sowjetmacht hat im Gegenzug Millionen russischstämmiger Menschen auf dem Gebiet der Ukraine angesiedelt. Keiner glaubte an den Zerfall der Sowjetunion, doch es kam anders.

Dann wurde die Ukraine endlich unabhängig, von allen Staaten der Weltgemeinschaft, einschließlich Russland(!), anerkannt. Was passierte nun mit den Russen in der Ukraine? Sie sind jetzt ein Teil des Landes, niemand verfolgt sie, niemand benachteiligt sie. Das Einzige, was die nationalbewussten Ukrainer von ihnen verlangen, ist ein Bekenntnis zu diesem Land – und nicht zu Russland!

In Deutschland hatte einer unserer Nachbarn eine russische Frau aus Rostow am Don. Wir pflegten einen guten Kontakt, jedoch war ich immer wieder über ihre politischen Ansichten entsetzt. Wenn es um die ukrainisch/russische Politik ging, war sie mit einer unerschütterlichen Selbstverständlichkeit der Überzeugung, dass die Ukraine zu Russland gehört. Und diese Überzeugung teilen leider sehr viele Menschen in den Weiten Russlands – und in der Ukraine.

Eine geschichtliche Aufarbeitung wird vehement verwehrt und alles Negative komplett abgestritten oder relativiert. Die Medien spielen dabei eine große Rolle. Man lügt das Volk schamlos an und verdreht Tatsachen so, wie es der russischen Macht passt. Ja, noch schlimmer, die Redakteure und Kommentatoren scheinen diesen propagandistischen Müll von einem großrussischen Reich wirklich selbst zu glauben. In Gedanken und im nationalen Verständnis existiert bei sehr vielen Russen immer noch die Sowjetunion. Man will sich einfach nicht damit abfinden, dass das System komplett versagt hat. Immer noch und ganz legitim hängt man Großmachtphantasien hinterher und träumt weiterhin von einem großrussischen Reich.

Kommen wir zu den Menschen in der Ukraine, die russischer Abstammung sind. Ich kenne einige von ihnen hier in Tscherkassy und gerade Anfang Dezember hatte ich ein Gespräch mit einem guten Bekannten. Ich wusste bis dahin nicht einmal, dass er geborener Russe ist. Das ist übrigens sehr bezeichnend: Keiner fragt danach! Er sagte wortwörtlich „Ich bin Russe, lebe aber jetzt in der Ukraine und bin hier zu Hause. Ich finde, die aktuelle Krise kann, und soll nur die Ukraine lösen, die Einmischung Russlands ist nicht richtig!“ Auch auf dem Maidan haben viele Menschen mit russischen Wurzeln ihr Leben gelassen, auch sie wollten in der Ukraine einen Neuanfang. Aber es gibt eben viele Menschen in dieser Gruppe, die – es verbietet ihnen auch niemand – russisches Fernsehen schauen und dieser Propaganda glauben.

Kurios mutet dann zum Beispiel die Meinung der Fremdenführerin Yelena Padgornaja im Interview mit der ARD an. Sie sagt: „Ja, Janukowitsch ist ein Dieb,… aber was jetzt in Kiew passiert, erinnere sie an Hitlers Machtergreifung.“ Und ihr Sohn meint: „Putin muss hier helfen!“… Weiter vorne im Video nennt man die Demonstranten „rechtsextreme Bastarde“. Ein junger Mann, vielleicht 20 Jahre alt, sagte wortwörtlich: „Ich bin hier, um die Ehre meiner Heldenstadt der russischen Kriegsflotte zu verteidigen. Wir wurden im Geiste des sowjetischen Patriotismus erzogen.“ Sorry, ich habe dafür nur ein Wort übrig: arme Verblendete!

Den Anführer der Nationalisten des Rechten Sektors nennen sie gleich einen Terroristen. Ja, Dmytro Jarosch findet klare Worte. Und sein Ziel ist eindeutig:

  • Ende des russischen Einflusses,
  • Verbot der Kommunistischen Partei,
  • Verbot der Partei der Regionen.

In Putin sehen sie den leibhaftigen Satan. Das klingt gefährlich, martialisch. Aber schaut doch einfach in die jüngere Geschichte. Schaut, was Putin in Tschetschenien, dem Kaukasus und zuletzt in Georgien zu verantworten hat! Und ich habe einige Interviews mit Dmytro Jarosch gelesen. Ich finde kein einziges Wort gegen Juden oder den Wunsch, einem anderen Land irgendetwas vorzuschreiben oder dieses zu okkupieren. Und das ist der große Unterschied zwischen ukrainischem und russischem Nationalismus. Es geht den radikalen Gruppen in der Ukraine einzig und allein um ihre Heimat. Und eigentlich nennt man so etwas Patriotismus.

Zuletzt noch ein Wort zur Galionsfigur der ukrainischen Nationalisten, Stepan Bandera. Er ist eine umstrittene, historische Persönlichkeit. Ich würde sagen, ein tragischer Held in einer skrupellosen Zeit voller Irrungen und Wirrungen, der aber ein Ziel vor Augen hatte: eine freie Ukraine! Er kämpfte mit und gegen die Deutschen, mit und gegen die  Sowjets. Kurz vor dem Einmarsch der Deutschen sollen ukrainische Freiheitskämpfer unter seiner Führung ein Massaker an 7000 Menschen in Lemberg verübt haben. Vorwiegend an Kommunisten und Juden, die der Zusammenarbeit mit Ersteren bezichtigt wurden. Das kreidet man ihm heute noch an, vor allem Israel. Das ist auch der Grund, international nicht als Held angesehen zu werden und weil er für Russland ein Nazi-Kollaborateur ist. Letztendlich war er auch 3 Jahre im KZ Sachsenhausen eingesperrt und starb 1959 in München bei einem Attentat im Auftrag des russischen Geheimdienstes KGB! Ein Detail, welches gerade deutsche Journalisten gerne verschweigen. Für viele Westukrainer ist er ein Nationalheld, so auch für die radikaleren Gruppen auf dem Maidan.

Ich möchte hier kein Loblied auf diese Gruppierungen singen. Nein, ich möchte, dass der Leser differenziert. Radikal, extrem – wie anders sollen sie denn sein, wenn man es mit einer riesigen Mafiabande zu tun hat? Skrupellosen Banditen, die seit 2010 ungeheuere Geldsummen im mehrstelligen Milliardenbereich für die eigene Habgier veruntreut haben? Die Schätze horteten wie Alibaba und die 40 Räuber? Und dabei den eigenen Babuschkas nicht mal 100 Euro Rente gönnen? Die das Land ausbluten lassen und an Russland verschachern wollen? Die ein ganzes Land an den Rand des Bankrotts getrieben haben? Die wie Marionetten an den Fäden des an Größenwahn leidenden Putin zappeln? Die auf die eigene Bevölkerung schießen lassen?!

Haben es diese Menschen, die für eine bessere Heimat gekämpft haben, die im Kampf gegen diesen Abschaum der Menschheit gestorben sind, verdient, von deutschen Linken als Faschisten bezeichnet zu werden? Ich schäme mich für meine Landsleute, die so etwas dulden! Ich schäme mich auch für einen Großteil der deutschen Medien, die unreflektiert den Sabber dieses kleinen Psychopaten aus Moskau und ohne eigene Recherche dessen Propaganda verbreiten. Wer ist denn hier der Faschist? Wenn es die Menschen auf den Barrikaden in Kiew sind, dann gut. Dann bin auch ich einer!

Slava Ukraini!

© und Herkunft der Bilder: links/oben rechts/mitte


 

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