Ataman Ivan Sirko – Kosak, Held, Legende. Zauberer?

Wenn man sich mit der ukrainischen Geschichte, und da vor allem mit den Kosaken beschäftigt, kommt man sehr leicht auch in das Reich der Zauberei, Sagen und Legenden. Ein wirklich ungewöhnlicher Anführer der Kosaken war zweifelsohne Ivan Sirko. Tataren und Türken erschreckten ihre Kinder mit diesem Namen. Bei ihnen war dieser Mann der Scheitan höchstpersönlich. Und die ganze Geschichte um ihn ist zu interessant, um sie nicht auch hier auf Ukraweb zu erzählen. Schade, dass ich kein Filmregisseur bin, bei diesem Stoff würde sogar ein Hobbit oder ein Jon Schnee blass aussehen.

Ivan Sirko ist in der ukrainischen Mythologie der berühmteste »Harakternik« (Козак-характерник) unter den Saporoger Kosaken. In über 50 oder 100 oder wie andere Quellen meinen, 240 Schlachten soll er gekämpft haben und immer siegreich gewesen sein. Kein Wunder, wenn sich um solche Helden sehr schnell Legenden und Mythen aufbauen. Waren sie doch auch bestens geeignet, bei den abergläubischen Muslimen Angst und Schrecken zu verbreiten. Das ging soweit, dass die Kosaken glaubten, Sirko wüsste im voraus, wo und wie er zu kämpfen habe und könne sich in einen Wolf oder Falken verwandeln. Dazu später mehr.

Weniger bekannt ist, dass Ivan Sirko auf dem Gemälde »Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief« von Ilja Repin verewigt ist. Er ist es, der als Heerführer dem Sultan antwortet und sitzt, eine Pfeife rauchend, hinter dem Schreiber.

Ivan Sirko, wie er wirklich war

Geboren wurde Ivan Sirko zwischen 1605 und 1610, das genaue Datum ist unbekannt, ebenso sein Geburtsort. Auch was seine Abstammung betrifft, so gibt es keine ganz sichere Erkenntnis. Die einen sagen, dass er aus einer Kosakenlinie entstammen soll, aus Briefen des polnischen Königshauses soll aber hervorgehen, dass er aus adligem Hause entstammt.

Ebenso umstritten ist die Behauptung, dass er als Anführer von 2500 Kosaken am Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) teilgenommen und auf Seiten der Franzosen gegen das spanische Reich in Flandern gekämpft habe, sowie bei der Einnahme der Festung von Dünkirchen beteiligt gewesen sein soll. Bei meiner Recherche (siehe Quellenverzeichnis am Ende) streiten sich die Historiker vor allem darum, ob es Kosaken oder Polen gewesen sein sollen, historische Dokumente sind da widersprüchlich.

Fest steht jedoch, dass er als Ataman an Bohdan Chmelnyzkyjs Kämpfen gegen das polnische Reich teilnahm, er kämpfte aber vorrangig und sehr erfolgreich gegen die Tataren und Osmanen.

Entgegen anderslautenden Berichten lehnte er wie viele andere, namhafte Kosakenführer die Unterzeichnung des Vertrages von Perejaslaw ab und weigerte sich, dem russischen Zaren Alexei einen Eid zu leisten. Es ist nicht einfach bei all den Quellen durchzublicken, auf welcher Seite Sirko stand. Er änderte mehrmals seine politische Ausrichtung, man kann es vielleicht kurz so zusammenfassen: Er war weder pro-polnisch, noch pro-russisch, er war schlicht und einfach und mit ganzer Seele ein Ukrainer. Bündnisse schloss er als Anführer der Saporoger Sitsch mit beiden Seiten, wenn es galt, die Ukraine vor den Angriffen der Tataren und Osmanen zu verteidigen.

Ja, von den Russen hielt er nicht viel. Ein Ereignis ist noch interessant: Obwohl er mit den Moskowitern 1659 erfolgreich gegen den Krim-Khan zu Felde zog, dankte man es ihm, indem man ihn auf dem Heimweg zu seiner Familie festnahm, in Fesseln nach Moskau schleppte und aburteilte. Er wurde in die Verbannung nach Tobolsk, Sibirien geschickt. Erst ein Jahr später durfte er zurückkehren, da die Türken in die Ukraine einfielen und auf Kyiv vorrücken wollten. Sirko wurde als Anführer der Saporoger Sitsch gebraucht. Trotzdem war er so der erste politischer Gefangene der Ukraine, der aus einem sibirischen Gefängnis zurückkehrte.

Ivan Sirko starb im Jahre 1680 als gebrochener Mann, voller Trauer und Gram über die Ermordung seiner Familie.

Ivan Sirko – die Legende

Es war das Jahr 1605, als ein Baby mit Zähnen geboren wurde. Die Hebamme schrie vor Angst, die Mutter war entsetzt. Das Gerücht verbreitete sich, dass das Baby verdammt sei und zum Mörder werden würde. Um die verängstigte Menge zu beruhigen, zeigte der Vater den Sohn öffentlich und sagte „Mein Sohn Ivan wird mit diesen Zähnen nur seine Feinde beißen!“. Niemand im Dorf erlaubte seinen Kindern, mit Ivan zu spielen. So wuchs er alleine auf. Die Dorfbewohner bemerkten seine erstaunlichen Fähigkeiten, er konnte Objekte mit einem Blick bewegen und die Gedanken der anderen lesen. Bald nannte man ihn einen Zauberer. Für Ivan war das schmerzlich, er wollte nur wie ein normales Kind behandelt werden.

Es passierte des Nachts zu Ivan Kupala. Ivan wollte in den Wald gehen. Er wusste selbst nicht, warum und wieso – es war, als hätte eine unbekannte Kraft ihn gerufen. Mitten im Nebel schritt er durch den dunklen Wald. Er fühlte, dass er beobachtet wurde, er spürte die Gefahr. Als er sich umschaute, griff ihn ein großer Wolf an. Er kämpfte, versuchte zu fliehen, spürte den unerträglichen Schmerz des Bisses und war voller Blut. Plötzlich blitzte ein klarer Gedanke durch seinen Kopf. „Nein, heute werde ich nicht sterben!“ Er gewann an Kraft und umklammerte die Kehle des Wolfes und mit seinen Händen tötete er das Tier. Ivan erkannte, dass er erstaunliche Kräfte besaß und hörte auf, die Schmerzen zu fühlen. Und nun hörte er auch ein leises Wimmern und er entdeckte einen kleinen Wolf. Ivan nahm ihn zu sich. Drei Tage war Ivan verschwunden und als er zurück kam, sahen die Bauern einen zwölfjährigen Jungen mit einem jungen Wolf in der Hand. Der Wolf wurde sein treuer Freund und Bruder, sie blieben immer zusammen. Im Dorf gab es Gerüchte, dass er mit dem Wolf sprechen konnte und der Wolf mit ihm. Sie glaubten, Ivan habe die Sprache der Tiere erlernt. Zur gleichen Zeit nahm Ivan seinen zweiten Namen an – Sirko.

So entstand ein unbesiegbarer Krieger, dessen Macht niemand enträtseln konnte und die Feinde beteten um seinen Tod und erschreckten ihre Kinder mit seinem Namen, dem Anführer der Saporoger Sitsch, Ivan Sirko.

Um dieser Anführer zu werden, hatte Ivan Sirko einen langen und schwierigen Weg des Lernens vor sich. Einmal zogen Kosaken aus der Sitsch durch sein Dorf, sie hatten von dem jungen Mann gehört. Sie weigerten sich jedoch, ihn mitzunehmen, er wäre angeblich zu klein. Sie verließen das Dorf und sagten zu Sirko scherzhaft: „Wenn Du alle dreizehn Stromschnellen überwindest und die Insel Chortyzja erreichst, werden wir Dich akzeptieren.“

Als die Kosaken auf der Insel ankamen, sahen sie den Jungen mit seinem Wolf am Ufer sitzen. Die Kosaken schnappten nach Luft und erkannten, dass der Junge erwählt und seine Zukunft bestimmt war. Sie brachten ihn zu den Nachkommen der Könige, den Saporoger Harakterniken, die geheimes Wissen aus der Antike kennen. Von Hunderten Neuankömmlingen in der Sitsch konnte nur einer ein Harakternik werden. Ivan Sirko war einer von den Hunderten.

Sirko absolvierte ein anstrengendes Training und musste viele Tests bestehen, die der Ausbildung eines Spartaners im antiken Griechenland in nichts nachstanden. So wurden ihm zum Beispiel die Hände und Augen verbunden und befohlen, loszurennen. Er gehorchte dem Befehl und eilte blind dahin. Und als er fühlte, dass er in einen Abgrund stürzte, wurde ihm klar, dass die Zeit angehalten werden kann. Im Tal war der Boden mit Heu bedeckt, damit er sich nicht verletzte, aber er lernte die wichtigste furchtlose Fähigkeit – die Seele vom Körper zu trennen.

Alle Tests hatte er bestanden und wurde zu einem der größten Krieger. Nur einen Test hat er nicht bestanden. Alte Harakternike warnten Sirko und versuchten, ihn von der Ehe abzuhalten, er hörte nicht auf sie. Er traf eine Frau, verliebte sich und gründete eine Familie, aber seine Seele spaltete sich. Für die Feinde war er ein Werwolf, für seine Frau und Kinder ein liebevoller Ehemann und fürsorglicher Vater.

Es wurde berichtet, dass er vor einer Schlacht mit Beginn der Dämmerung sich in einen Wolf verwandelte und in die feindlichen Linien eindrang. Kehrte er am Morgen zurück, konnte er den Kosaken ausführlich erzählen, was er gesehen hatte. Die Kosaken starteten die Offensive und gewannen mit ihm immer. Und wenn die Feinde hörten, dass Sirko die Kosaken anführte, wussten sie – sie waren zum Scheitern verurteilt. Die Kosaken waren hingegen überzeugt, dass sie unbesiegbar sind, wenn Sirko bei ihnen war. Deshalb antworteten sie auf die Aufrufe ihres Atamans zum Kampf: „Führe uns, Vater, wir sind bis zum Ende bei Dir!“

Sirko hatte wunderbare Eigenschaften als Feldherr und außerordentliche Kraft. Man sagte ihm nach, dass er die Wunden seiner Brüder auf dem Schlachtfeld geheilt habe. Aber er kann keine mentalen Wunden heilen. Das wussten die Feinde und erschöpft vom unbesiegbaren Sirko töteten sie seine Familie, verbrannten sein Dorf. Alles war verschwunden, niemand mehr da, sein Wissen und seine Fähigkeiten zu erben. Als Sirko davon erfuhr, erwachte das Tier in ihm. Er befahl die letzte, größte Kampagne gegen die Türken. Auf seinem Weg hat er niemanden geschont. Nackt, ohne Waffen kämpfte er gegen den Feind. Es heißt, dass in der Schlacht die Feinde vor Angst starben. Er befahl, keine Gefangenen zu machen, er ließ nur Asche zurück. Aber selbst dieser triumphale Sieg brachte Sirko keinen Seelenfrieden. Niemand erwartete ihn zu Hause, er war ein gebrochener Mann und ging seinem Ende entgegen.

Über fünf Jahre, so heißt es, lagerte der Sarg in der Saporoger Sitsch und man nahm ihn sogar auf militärischen Feldzügen mit. Und wenn die Türken hörten, dass sein Körper und Geist unter den Kosaken war, gaben sie auf und ergriffen ohne Kampf die Flucht. Aber auch ein Testament hat Ivan Sirko seinen Kameraden hinterlassen, in dem es heißt: „Wenn schwierige Zeiten für die Ukraine kommen, so öffnet meinen Sarg, nehmt meine rechte Hand und geht mit ihr in die Schlacht!“

Nachdem der Sarg Sirkos 5 Jahre in der Sitsch lagerte, beschlossen die Kosaken, ihn zu beerdigen, erfüllten aber sein Vermächtnis und nahmen seine rechte Hand. Und weitere 20 Jahre war Sirko bei den Kämpfen dabei und wenn der Kampf besonders schwierig wurde, pflanzte man die Hand auf einen Speer und rief „Fürchtet Euch, Muselmanen! Bei uns ist die Hand und Seele des Atamans Sirko!“ So verursachte noch lange nach seinem Tod Ivan Sirko unter den Feinden Angst und Schrecken.

Das letzte mal soll die rechte Hand des Sirko 1812 verwendet worden sein, als Napoleons Truppen Moskau einnahmen. Dreimal umkreiste man mit Sirkos Hand Moskau und zwang die Franzosen so zum Rückzug – so heißt es. Was dann mit der ukrainischen Geheimwaffe passierte, ist leider nicht bekannt, ihr weiteres Schicksal wurde von den Kosaken geheim gehalten.

 

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