Gastbeitrag „Die gesteinigte Maske“

Fritz Ehrlich, den Autor dieser Geschichte, habe ich via Facebook kennengelernt. Vor gut einem Jahr veröffentlichte er dieses persönliche Erlebnis auf Facebook und sie geistert bis heute in meinen Gedanken herum. Und ich komme, sobald ich diverse deutsche und europäische Politiker reden höre, immer wieder auf diese Geschichte zurück. Und dann sehe ich, wie sich Lokal- und sogar Landespolitiker in Moskau die Klinke in die Hand geben, wie diese Le Pen aus Frankreich ganz unverblühmt in Moskau um Geld bettelt und wie sie allesamt das verbrecherische Handeln Russlands herunterspielen. Ist das nur Naivität? Oder steckt da mehr dahinter? Diese Geschichte spielt nicht im Mittelalter, sondern in der heutigen und in einer Zeit, die ich als Jugendlicher erlebte und die ich überwunden zu haben glaubte. Aber wir sehen aktuell, wie Stasimitarbeiter wieder in der Regierung und auf gehobenen Posten Fuß fassen und sogar ein Egon Krenz in den Medien wieder seine Meinung zum Besten geben darf. Wie haben wir uns nur geirrt! Dieses Jahr stehen einige Wahlen an. Bevor ihr Eure Entscheidung trefft, lest diese Geschichte und denkt nach!

Die Ukrainer und mein Talisman

Fahrt in Richtung Donezk, von Westen kommend, aus Saporoschje. Ich komme mir vor, als ob ich mich selbst auf die Schlachtbank führe. Wie auf einer Zeitreise, aus der Zukunft oder besser der Gegenwart, in das Jahr 1937. "Fahre auf keinen Fall mit Deinem eigenen Auto in den Donbas, zumal noch mit dieser Euro-Nummer" liegt mir noch im Ohr. Mein Blick geht auf die ukrainische Fahne auf dem Armaturenbrett, ich lasse sie liegen, solange es geht. Russische Diversantengruppen, Spezialeinheiten, die keine Gesetze kennen, dafür aber in Gruppen von 2-12 Mann alles töten, was ihnen in die Quere kommt, sind kürzlich sogar in Charkow geschnappt worden. Sie können überall sein und die oft schnurgeraden Trassen in der Ukraine laden förmlich ein, es mit einem Fernschuss auf einen fahrenden Kleiderschrank zu versuchen, um dann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.

Ich beginne, Schlangenlinien zu fahren. Eigentlich ist es noch recht weit bis zur Front, vielleicht 40 km, aber man kann nie wissen. Dann, in etwa einem Kilometer Entfernung Bewegung auf der Chaussee. Ich nehme automatisch den Fuß vom Gas. Gewaltige Betonblöcke liegen quer. Auf ihnen steht: PTN PNCh - ein ukrainischer Blockposten also, denn das ist eine zum Klassiker gewordene Abkürzung für Putin – Schwanz (frei übersetzt). Männer mit Kalaschnikow und in schwarzen, grünen und blauen Uniformen sind von Weitem zu erkennen. Zerbeulte und auf die Straße gestellte Verkehrsschilder: 70, 30, Stop. Ich lasse die Scheibe herunter. Ein Polizist mit Kalaschnikow kommt heran, zwei weitere umkreisen das Auto. Ehrenbeweis, kurze Vorstellung ich antworte mit „Slawa Ukraine“, dröhnend wirft er zurück: „Herojam Slawa“ und fragt „Wohin fahren Sie?“ Freundlich bestimmt antworte ich: „Richtung Donezk, Freunde besuchen, an der Front“. Misstrauischer Blick, dann fragt er: „Warum fahren Sie Schlangenlinien?“ Ich muss grinsen. „Radaufhängung testen, die Straßen sind nicht die besten.“ Das glaubt er als Begründung unbesehen. „Und was ist das?“ fragt er und zeigt auf die ukrainische Maske, die auf dem Beifahrersitz in Augenhöhe festgemacht ist. „Mein Talisman“ sage ich. Er will sie sehen.

Ich nehme sie ab und gebe sie ihm, füge aber hinzu: „Vorsicht, sie ist etwas eingerissen an der Seite.“ Er schaut sie an, dann fragt er mich ohne zu mir aufzublicken: „Woher haben Sie die?“ Ich sage lächelnd: „Die ist was ganz besonderes, ich habe sie vor der Fußball WM in Deutschland gekauft, zum Spiel Ukraine gegen Tunesien. Wissen Sie noch, wer gewann?“ Ich lächele immer noch und während er überlegt sage ich weiter: „Ich saß im tunesischen Block, es gab keine anderen Karten mehr. „Und?“ fragt er. „Nichts, sie haben nur gelacht, wenn ich als Einziger aufstand und Jaaaa brüllte. Es war eine Megaparty.“ Er dreht die Maske und besieht sich ernst den Riss an der Seite. Ich frage mich, was in seinem Kopf jetzt vor sich geht. Er geht wortlos zur Seite und kramt eine riesige Rolle durchsichtiges Packband aus einem zerbeulten Karton hervor und sagt zu einem anderen, viel jüngeren Polizisten: „Dershi - Halt mal.“ Er repariert in aller Seelenruhe die defekte Stelle der Maske, indem er das Klebeband mit einem Kampfmesser in die passende Größe schneidet und wie mit einem Pflaster liebevoll den Riss sichert. Ich lächle schon lange nicht mehr, schaue nur wortlos zu. Mein Herz krampft sich zusammen, 40 km von hier ist Krieg und sie retten eine lächelnde Plastikmaske mit der Aufschrift »Ukraine« vor dem Zerfall. Das hätte vor dem Maidan und unter Janukowitsch sicher niemand getan.

Ein Fritz und ein Iwan

Sie geben mir die Maske wieder und wünschen gute Weiterfahrt. Ich will den Motor starten, als neben mir ein kleiner Renault Lieferwagen hält. Der ältere Mann am Steuer ruft mir durch die geöffnete rechte Scheibe etwas zu, erst beim zweiten oder dritten Anlauf merke ich, dass er gebrochen Deutsch mit mir spricht. Er hat wohl mein Nummernschild gesehen und zeigt stolz seine Kenntnisse. Das frappierende für mich ist: er redet zwar mit diesem typischen russischen Akzent, aber mit deutlich bayerischer Dehnung der Vokale. Er steigt aus und redet laut weiter, die Polizisten und Soldaten am Blockposten verfolgen interessiert aber aus höflicher Entfernung diese neue Entwicklung der Ereignisse. Er stellt sich vor, sein Name ist Iwan und es entwickelt sich ein Dialog, in welchem er aber klar die größeren Gesprächsanteile hat. Mittlerweile bin auch ich ausgestiegen und so stehen wir nun, ein Iwan und ein Fritz, miteinander redend noch eine gute halbe Stunde und die langsam Vorbeifahrenden sind verwundert, dass sich in Frontnähe offensichtlich zwei deutsche »Landsleute« getroffen haben.

Als ich ihm das Ziel meiner Reise erkläre, taut er immer weiter auf. Er erzählt mir, dass er zwar jetzt Rentner ist, aber früher beim ukrainischen und davor sowjetischen Geheimdienst gearbeitet hat. Er war enger Vertrauter von Kutshma und Pintshuk und könnte mir jederzeit Audienzen organisieren, wenn ich das für mein Business mal bräuchte. Ich lehne höflich ab, denn mit Pintshuk habe ich noch eine persönliche Rechnung offen und Kontakte mit Kutschma hinterlassen auch nur verbrannte Erde – aber das behalte ich für mich. Ich höre ihm weiter zu, mehrmals unternehme ich den Versuch herauszufinden, was er von den Ereignissen in der Ukraine hält, aber dieser alte Fuchs weicht geschickt meinen Fragen aus. Ich habe schon oft erlebt, dass mir wildfremde Menschen im Flugzeug, in der Nachtbar oder in der Autowäsche einen Teil ihres Lebens vor mir ausbreiteten. Sicher immer etwas eingefärbt mit Emotionen, aber sicher auch nicht alles erfunden, warum auch. Er erzählt und erzählt, ich höre nur noch mit einem halben Ohr hin, will aber nicht unhöflich wirken und halte das mittlerweile zum Monolog gewordene Gespräch am Laufen. „Ich war oft in Deutschland, also nicht nur der DDR, auch in der BRD und in Frankreich und Italien.“ sagt er. Ich antworte mit einem „Aha“ und denke mir: da muss er wohl wirklich beim KGB gearbeitet haben, er wäre sonst nie aus der Sowjetunion herausgekommen. „Und nicht nur einmal“ setzt er fort und ich ahne jetzt, woher sein bayerischer Akzent kommt.

Die Steine

„Ich reiste offiziell als Direktor eines Milchwerkes“ sagt er weiter und grinst dabei. „Sicher“ sage ich „als KGB-Offizier hätte man bei der Einreise bestimmt gleich eine Eisenkugel um den Knöchel bekommen.“ Wir lachen beide und ich füge scherzhaft an: „Und wie ging die Milch so?“ Ich will gar nicht wissen, was seine wirkliche Aufgabe war, aber er erzählt munter weiter und ich höre irgendwas von Steinen. Ich dachte zuerst, ich habe mich verhört, aber als er das dritte Mal von Steinen redet, hake ich nach: „Steine? Als Direktor eines Milchbetriebes? Was denn für Steine? Ziegelsteine etwa?“

Er schaut mich erstaunt und belustigt zugleich an. „Nein, keine Ziegelsteine, richtige Steine.“ Ich fühle mich veräppelt. „Was denn für richtige Steine?“ frage ich. „Edelsteine“ sagt er mit etwas leiserer Stimme. Jetzt bin ich wieder voll bei der Sache und schaue ihn mit leichtem Lächeln an: „Edelsteine? Aber sicher doch nicht als offizielles Produkt eines Milchbetriebes.“ „Nein, natürlich nicht“ antwortet er und ist sichtlich erfreut, dass ich mich nun doch für seine Geschichte interessiere, er muss wohl gemerkt haben, dass ich vorher nicht sehr aufmerksam war. Er lauert regelrecht auf die nun logischerweise folgende Frage und ich stelle sie: „Wozu?“ Jetzt hat er mich, denn das will ich jetzt schon wissen und ich schaue aufmerksam aber entspannt in sein verschmitztes Gesicht als er sagt: „Nicht wozu, sondern für wen, wäre die bessere Frage.“

Er macht es spannend, mir imponiert diese Menschenkenntnis. Folgsam frage ich „Für wen?“, ich will nicht unhöflich erscheinen und ihm meine wirklichen Gedanken in diesem Moment offen legen, die mir angesichts dieser Story durch den Kopf gehen, angefangen von James Bond , über »Roter Oktober« bis Litwinenko und füge hinzu: „Bestimmt so eine Art Bartergeschäft.“ „Nein“ sagt er und seine Stimme wird noch leiser aber schneidender: „Für die Chefs der kommunistischen Parteien in Westeuropa.“ Ich bin sprachlos. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich runzle die Stirn, meine Augen werden kleiner, ein Mundwinkel verzieht sich zu einem ungläubigen Lächeln und ich wiederhole „Die kommunistischen Parteien in Westeuropa?„ „Genau die“ sagt er. Sein Triumph ist vollständig, er muss es mir ansehen, dass ich völlig perplex bin.

Die Gehaltsempfänger der Sowjetunion

„Wir haben sie alle finanziert, die ganze Zeit“ setzt er hinzu. Ich schweige. „Das war eine tolle Zeit“ und er erzählt wieder, wo er überall war. Alle westeuropäischen, sozialistischen und kommunistischen Parteien standen auf der Gehaltsliste der Sowjetunion. „Deutschland, hat mir am Besten gefallen“ sagt er und zählt deutsche Städte auf, die für ihn besonders attraktiv waren, westdeutsche Städte und mixt sein Russisch zur Hälfte mit deutschen Begriffen, mit Akzent zwar, aber erstaunlich präzise. Jetzt ist er richtig in Fahrt, er erzählt weiter: „Es gab nie Probleme, immer wenn ich wieder zurück kam, erhielt ich zusätzlich zu meinem Gehalt Valutaschecks.“ Er sieht mich aufmerksam an und setzt hinzu: „Forumschecks“ Ich hatte ihm gesagt, dass ich in Ostdeutschland aufgewachsen bin und er wusste offensichtlich sogar, dass in der späten DDR Westgeld im freien Umlauf verboten war, harte Valuta wurde in den »Intershops« nur in Form sogenannter Forumschecks angenommen.

Weiche Valuta, auch der sowjetische Rubel, wurde für einen begrenzten Personenkreis und in begrenzter Menge auch über den GENEX-Katalog abgeschöpft - da gab es meist hochwertige DDR-Waren. Dinge, die man sonst nur unter dem Ladentisch bekam. All das wusste er und er erinnerte mich so daran, dass es auch in der Sowjetunion so etwas ähnliches gab und mit der Zulassung dieser »Berjoska« oder »Kashtan« – Geschäfte, in welchen es sowjetische oder importierte Waren für sogenannte Valutaschecks, gegen die man vorher seine harte Währung zu tauschen hatte, zu kaufen gab, blühte der Schwarzmarkt auf. Während der offizielle Zwangskurs bei unter einem US-Dollar für einen Rubel lag, wurden inoffiziell 5, dann 10, später sogar 15 Rubel für einen Dollar bezahlt. Wer Zugang zu Westgeld hatte, lebte wirklich wie Gott in Frankreich. In Moskau warfen sich die Mädels West-Ausländern scharenweise an den Hals, Valuta-Prostitution gehörte in der Endphase der Sowjetunion zum begehrtesten Traumberuf der weiblichen Bevölkerung zwischen 18 und 25 Jahren, wie damals eine anonyme Umfrage während der »Perestroika« herausfand.

Als Iwan sagt: „Ich konnte mir gleich einen Shiguli kaufen“, die sowjetische Bezeichnung für einen Lada, glaubte ich ihm das sofort. „Eigentlich hätte ich mir für das Geld zwei Autos kaufen können, aber wozu?“ Ich habe bis jetzt nur zugehört, jetzt frage ich: „Und dann, als die Ukraine unabhängig wurde, haben Sie da weiter Steine transportiert?“ Er weicht aus und erzählt davon, dass das eine schwere Zeit war und er Personen wie Kuchma und Pintshuk schützte. „Und jetzt?“ ich lasse nicht locker. „Ich bin schon einige Jahre Rentner“ antwortet er. „Ich vergesse langsam die deutsche Sprache“ sagt er auf Deutsch. „Aber meine Tochter ist mit einem Deutschen verheiratet und ich bin öfters bei euch - das bayerische Bier ist das beste der Welt.“ Er lacht laut. Ich kann ihm auch diesmal nicht wirklich widersprechen und lache mit.

Zum Schluss des Gespräches wird die Atmosphäre fast herzlich. Er will meine Telefonnummer, ich überlege kurz und sage: „die vergesse ich immer“. „Dann wähle einfach meine Nummer und wir haben dann jeweils die andere.“ Mist, denke ich, das war eine echt blöde Ausrede von mir. Ich wühle in der Tasche und nehme mein Reservetelefon, er diktiert mir seine Nummer, ich wähle und er sagt nur „O“, was so viel wie »Hat geklappt« heißt. Wir verabschieden uns mit Umarmung wie alte Bekannte. Die Soldaten an Blockposten freuen sich aus irgendeinem Grund, der Polizist von vorhin kommt auf uns zu und sagt: „2006, in Berlin, 1 : 0 für die Ukraine, das Tor schoss Schewtschenko, wir sind dann aber trotzdem raus geflogen.“ Ich sage lächelnd: „Totshno - genau.“ Iwan und ich steigen in unsere Autos. Zum Schluss ruft er noch auf Deutsch „Alles Gute.“ Höflich und mit einem Lächeln auf den Lippen rufe ich auf Deutsch zurück: „Danke, ebenso.“ „Und wenn Du Hilfe brauchst, ruf mich an“ höre ich noch, bevor ich mit einer Art Winken die Scheibe schließe und anrolle.

Ich muss lächeln, eigentlich haben wir es in der DDR ja immer geahnt wer die KP`s finanziert hat, woher sollen sie denn auch sonst die Kohle gehabt haben. Wie ist das eigentlich heute, überlege ich, und schaue auf die Straße, die kerzengerade nach Osten in den Krieg führt. Erst nach einer Weile fällt mir auf, dass ich wieder Schlangenlinien fahre...

Vielen Dank an Fritz Ehrlich für die freundliche Genehmigung der Wiederveröffentlichung auf UKRAWEB. Hinweis: Der Name von »Iwan« wurde geändert.


 

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